Gedanken zu Franziskus (Teil 6)

Für September hat sich unser Mitbruder P. Klaus aus Flüeli bereit erklärt, einige Gedanken zum Thema „Loslassen“ – wie es einst unser Ordensvater Franziskus getan hat – zu schreiben.

Lass los, lebe! (Gedanken zu Markus 10, 17 ff)

Vor einiger Zeit diskutierten Adrian und ich auf der Terrasse bei einem Glas Rotwein aus dem Wallis über Glaubensfragen. Adrian hatte kurz vorher den Text in der Bibel vom reichen Mann gehört, der sich vergewissern wollte, wie er in den Himmel kommen werde. Als guter Jude verwies Jesus auf die Einhaltung der Gebote. Diese Antwort war ihm jedoch zu wenig klar. Daher sagte ihm Jesus: «Wenn Du vollkommen sein willst, dann geh, verkauf den Besitz und gib den Erlös den Armen».
Das war zu radikal, zu provokativ für ihn und er ging von Jesus weg.
Adrian verstand diese Forderung Jesu nicht, auf alles zu verzichten, sich von allem zu trennen und nur auf Gott zu vertrauen. Im Gespräch wurde uns langsam bewusst, dass Jesus eine Grundhaltung von uns Menschen angesprochen hat und die Frage an uns aufwirft, welchen Wert wir den materiellen Dingen geben. Macht uns Geld, Besitz, Reichtum aller Art glücklich und zufrieden? Wollen wir nicht immer mehr und mehr davon? Die Menschen arbeiten und schuften oft ruhelos und hektisch, um Dinge anzuschaffen die sie gar nicht brauchen: Kleider, Häuser, Autos, Möbel, Apparate….
So stellt sich die Frage an uns, ob wir innerlich noch frei oder Sklaven sind, abhängig von materiellen Dingen. Was bleibt uns, wenn wir diese materiellen Dinge verlieren, z.B. durch Krieg, Unfall, Brand, Erdbeben, Krankheit, Unwetter, wie dieses Jahr im Wallis und im Tessin?
Gibt es nicht noch andere Werte, die uns menschlich erfüllen, wie Freundschaft Zärtlichkeit, Geborgenheit, Treue, Dasein-für- andere, Solidarität, Mitmenschlichkeit, Liebe, Angenommensein, Verständnis, …
Damit diese Werte zum Tragen kommen braucht es das Loslassen. Das können wir Menschen schwer. Automatisch wollen wir greifen, packen, behalten, mehr festhalten als frei-geben. Loslassen muss gelernt und geübt werden.
Loslassen ist die Lebensweisheit für den inneren Frieden, damit das Herz mit Wesentlichem gefüllt werden kann:
Leer-sein für den Mitmenschen, würde Jesus wohl sagen, für die Liebe.
Darin liegt das Geheimnis eines erfüllten Lebens: sich die innere Freiheit bewahren gegenüber allem Vergänglichem, gegenüber allen Ereignissen, die wir nicht ändern können. Das bedeutet Ballast abwerfen, sich befreien von unnötigen Sorgen, materiellen und psychischen Belastungen und Verletzungen der Vergangenheit.

Am Schluss unseres Gespräches konnten wir uns verständigen auf zwei zusammenfassende Gedanken:
 A) «Alles Loslassen ist eine Vorbereitung auf das letzte Loslassen am Ende unseres Lebens».
B) und auf den Spruch, den ich irgendeinmal gelesen habe: «Richtig leben bedeutet nicht zu wissen, was man braucht, sondern einzusehen, was man nicht braucht».